Terhardt, E. (1972). Tonhöhenwahrnehmung und harmonisches Empfinden. In: Akustik und Schwingungstechnik (DAGA'72), VDE-Verlag, Berlin, 59-68


Psychoakustische Untersuchungen über die Konsonanz zeigen, daß Konsonanz, soweit sie durch diese Untersuchungen definiert werden kann, nichts anderes als der "Wohlklang", verursacht durch die mehr oder weniger vollständige Abwesenheit der Rauhigkeitsempfindung ist. Der Ursprung der musikalischen Grundintervalle läßt sich auf diesem Wege nicht feststellen. Die Untersuchung der Tonhöhenwahrnehmung ergibt, daß das Grundprinzip der "klassischen" Ortstheorie der Tonhöhe von Sinustönen nicht verlassen werden muß. Die "Residualtonhöhe" erweist sich im Unterschied zur Tonhöhe von Sinstönen als ein "Empfindungsmerkmal höherer Ordnung", welches vom Gehör aus spektralen Klangmerkmalen und mit Hilfe erlernter Kriterien abgleitet wird. Dieser Vorgang ist mit der Gestaltwahrnehmung des Gesichtssinnes vergleichbar. Das Empfinden des Gehörs für die musikalischen Grundintervalle wird durch die Prinzipien, welche das Zustandekommen der Virtuellen Tonhöhe bestimmen, erklärt. Das harmonische Empfinden des Gehörs beruht nach dieser Vorstellung auf der Kenntnis der Tonhöhenbeziehungen zwischen den ersten 6 bis 8 Teiltönen harmonischer Klänge. Das Gehör eignet sich diese Kenntnis an, wenn es die Fähigkeit entwickelt, Sprachklänge zu identifizieren. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse findet die Tendenz des Gehörs, musikalische Intervalle zu "spreizen", eine einleuchtende Erklärung: Die Tonhöhenverschiebungen, welche die Teiltöne der harmonischen Sprachklänge infolge wechselseitiger Beeinflussung erleiden, haben zur Folge, daß die Tonhöhenintervalle subjektiv erweitert sind. Sie werden deshalb bereits verfälscht angelernt.


The results of psychoacoustic investigations on consonance suggest that consonance, as far as it can be defined by that type of experiments, merely is the "pleasantness" which is dependent on the absence/presence of auditory roughness. The origin of basic musical intervals cannot be explained on that basis. The investigation of pitch perception suggests that the principle of the "classic" place theory has not to be abandoned. The "residue" pitch turns out to be a sensation of higher-order, as opposed to the pitch of pure tones, and is established from spectral cues by means of learned criteria. This process can be compared to visual Gestalt perception. According to this way of thinking, the aural sense of basic musical intervals emerges from the knowledge about the first six to eight harmonics of complex tones. That knowledge is acquired when identification of the sounds of speech is developed. In the light of these results the auditory system's tendency to "stretch" musical intervals gets a straightforward explanation: The auditory pitch shifts of harmonics of complex tones, which result from mutual interaction in the ear, yield a subjective stretch of harmonic pitch intervals.


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